«Austausch ist Nahrung für die Seele, den Geist, das Herz»
ABZ-Bewohnerin Maya Schwan-Irniger hat in ihrem Leben zahlreiche Wohnformen ausprobiert. Von der Kommune, wo sie alles teilte, bis zur Haugemeinschaft, in der sie jetzt lebt. Ein Gespräch über die Suche nach Gemeinschaft.
Kommune, Familie, Wohngemeinschaft, Hausgemeinschaft – Maya Schwan-Irniger hat fast alle Wohnformen ausprobiert. Heute lebt die 63-Jährige in der Hausgemeinschaft 55+ in der Siedlung Entlisberg 2 und sagt: «Mit anderen Menschen zusammenleben ist Nahrung für die Seele, den Geist, das Herz.»
Maya Schwan-Irniger ist eine der Protagonist/innen im Film «Nos utopies communautaires – Die Kunst des Zusammenlebens». Er begleitet Menschen, die seit jeher auf der Suche nach Gemeinschaft sind (siehe Hinweis unten). Im Gespräch erzählt sie, welche Bedeutung Gemeinschaft für sie hat, warum der Mensch Gemeinschaft braucht und wie sie in der ABZ lebt.
Was bedeutet für Sie Gemeinschaft?
Für mich ist der Mensch ein Gemeinschaftswesen. Es liegt in seiner Natur, mit anderen zu leben und dabei gemeinsame Interessen und Ziele zu verfolgen, sich auszutauschen und gegenseitig zu unterstützen. Im Zentrum steht ein lebendiges Zusammensein, das über eine Gruppe von zwei Personen hinausgeht. Lebt der Mensch allein, droht die Vereinsamung.
Wie haben Sie Gemeinschaft erfahren?
Das gemeinschaftliche Zusammenleben zieht sich wie ein roter Faden durch mein Leben. Ich zog mit 20 aus dem Elternhaus und lebte daraufhin zehn Jahre in einer Kommune in Zürich mit 30 bis 40 Mitbewohnerinnen und Mitbewohnern. Diese Kommune war Teil einer grösseren Organisation mit weiteren Kommunen in Deutschland, Frankreich und Österreich. Insgesamt waren so über 300 Menschen vernetzt. Wir teilten alles: Lohn, Eigentum, Sexualität, Freizeit. Obwohl das Modell Kleinfamilie für mich kein Vorbild war, lebte ich nach der Auflösung der Kommune ab 1991 mit meinem Sohn und mit meinem Partner zusammen. Als mein Sohn 21 Jahre alt und immer selbstständiger wurde – zudem hatten mein Partner und ich uns ein paar Jahre davor getrennt –, fragte ich mich: Was nun? Dann entschied ich mich, in eine WG einzuziehen.
Und wie sind Sie in der ABZ gelandet?
Zwischenmenschlich war das Zusammenleben in der WG schwierig. Ich stiess auf das Inserat der ABZ, die eine Hausgemeinschaft 55+ gründen wollte und bewarb mich dort. Nun lebe ich seit viereinhalb Jahren hier in Wollishofen.
Wie kann man sich das Leben in der Hausgemeinschaft vorstellen?
Wir sind 28 Bewohnerinnen und Bewohner. Jede und jeder hat eine eigene Wohnung, das Zusammenleben gestalten wir aber gemeinsam mit allerlei Aktivitäten. Jede und jeder kann was anstossen – wer mag, der kommt. Zum Beispiel organisieren wir gemeinsame Essen, Spaziergänge oder Filmabende. Ist jemand krank, wird für sie oder ihn gesorgt. Auch die Architektur fördert das Gemeinschaftliche: Unser Atrium ermöglicht einen Blick zum Nachbarn. Meine direkte Nachbarin und ich etwa können uns gegenseitig in die Küche schauen. Ziehen wir den Vorhang, haben wir unsere Privatsphäre. Ich habe praktisch jeden Tag Kontakt mit ihr, auch wenn es manchmal nur ein kurzes Hallo ist.
Warum ist das Leben besser, wenn man mit anderen Menschen zusammenlebt?
Der Mensch nährt sich mit Austausch, mit Beziehungen zu anderen Menschen. Es ist Nahrung für die Seele, den Geist, das Herz. Dank dem Kontakt mit anderen können wir lernen, wachsen und uns hinterfragen.
«Dank dem Kontakt mit anderen können wir lernen, wachsen und uns hinterfragen.»
Maya Schwan-Irniger, ABZ-Bewohnerin
Gibt es die ideale Wohnform?
Für mich gibt es nicht die eine ideale Wohnform. Im Moment ist die Hausgemeinschaft für mich die ideale Wohnform, vor 40 Jahren war es die Kommune.
Welche Bedeutung hat das gemeinschaftliche Wohnen aus Ihrer Sicht in der Gesellschaft?
Ich denke, die Bedeutung nimmt zu – vor allem auch aus ökologischer Sicht. In der Hausgemeinschaft teilen wir beispielsweise eine Reihe von Haushaltsgeräten, Waschraum, Aufenthaltsraum, Nähzimmer und einen kleinen Werkraum. Man könnte noch vieles mehr teilen: Autos, Werkzeuge und und und. Auch ist durch gemeinschaftliches Wohnen weniger Wohnraum für den einzelnen nötig. So reduzieren wir einmal mehr unseren ökologischen Fussabdruck.
Wir alle wissen, dass wir mehr für den Schutz unserer Umwelt tun müssen. Nur nehmen wir kaum Verantwortung wahr, weil wir (noch) nicht am Abgrund stehen – oder es nicht einsehen wollen. In der Not kommt die Veränderung. Und vielleicht heisst diese Veränderung dann auch gemeinschaftlich Wohnen und teilen.
Zum Film
In den 1970er Jahren erprobten sie neue Lebensformen: Kommunen, Hausbesetzungen oder die freie Liebe. Immer in der Hoffnung auf echte Veränderungen. Heute, im Ruhestand, experimentieren sie mit neuen Wohnformen, wo Gemeingüter und Teilen wichtig sind. Der Schweizer Regisseur Pierre-Yves Borgeaud (Viramundo – A Musical Journey with Gilberto Gil, Retour à Gorée) porträtiert in seinem neuen Film ehemalige Aktivistinnen und Aktivisten der noch immer elektrisierenden 1970er-Jahre und zeigt ihre anhaltende Suche nach Gemeinschaft.
Vorpremiere: 5. September, 18 Uhr, mit anschliessender Podiumsdiskussion
Kosmos, Lagerstrasse 104, 8004 Zürich
Kinostart: 8. September