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1. März 2021 Ingrid Diener

Das menschliche Mass

Rund 26 Prozent der Wohnungen in Zürich sind gemeinnützig. Damit die Stadt auch künftig attraktiv bleibt, muss dieser Anteil erhöht und die Bedürfnisse der Menschen sollten ins Zentrum des Handelns gerückt werden.

«Wem gehört der Boden?» – das war eine der Fragen, die das Stadtmagazin Tsüri.ch Ende 2020 in seinem Fokusmonat «Wohnen» stellte. ABZ-Geschäftsführer Hans Rupp machte am Eröffnungsabend klar: Es spiele eine Rolle, wem der Boden gehört. Denn es brauche eine attraktive, lebenswerte Stadt – auch in Zukunft. Aber was bedeutet lebenswert?

Die lebenswerte Stadt Zürich ist gemäss Rupp etwa am Bullingerplatz im Kreis 4 zu finden. Mit der Westumfahrung wurde der Platz vor zehn Jahren verkehrsberuhigt, er verfügt über eine attraktive Infrastruktur mit Wasserspiel und Sitzgelegenheiten, das Café lädt zum Verweilen ein, und die Apotheke ist ein Beispiel für die zu Fuss erreichbare Alltagsversorgung. Zudem stellen die über dem Café gelegenen ABZ-Wohnungen guten und günstigen Wohnraum sicher. Ein ähnliches Bild zeigt sich am Idaplatz, der ebenfalls verkehrsberuhigt ist. Die Aufenthaltsqualität ist mit den zahlreichen Restaurants und Cafés rundherum hoch, der Bioladen eignet sich für den fussläufigen Einkauf. «Voraussetzung für solche Quartiere ist jedoch eine gewisse Dichte an Menschen», sagt Rupp. «Das Angebot kann noch so gut stimmen – wenn es nicht genügend Menschen hat, die es nutzen, lebt der Raum nicht.»

Ein Beispiel für ein Quartier mit hoher Lebensqualität: rund um den Idaplatz im Kreis 3.

Es braucht Regulierung

Es gibt aber auch Quartiere mit wenig Aufenthaltsqualität, weil das Angebot eben nicht stimmt. Bei der Eigentümerschaft steht oft die Optimierung der Rendite im Zentrum. Wichtige Elemente für eine lebendige Stadt, wie der Bezug zum Quartier, rücken in den Hintergrund. «Es braucht Regulierung, wenn die Lebensqualität beibehalten werden soll», sagt Andreas Kirstein, ABZ-Vizepräsident. «Sonst werden mehr und mehr nur wenige profitieren und den Boden für ihre eigenen Interessen optimieren.»

«Es braucht Regulierung, wenn die Lebensqualität beibehalten werden soll.»

Andreas Kirstein, ABZ-Vizepräsident

Eine Regulierungsmassnahme beinhaltet, dass die Stadt Zürich bis 2050 den gemeinnützigen Wohnraum auf einen Drittel erhöht. Zwischen 2016 und 2019 hat der Wohnungsbestand gemäss der Stadt Zürich um 9000 Einheiten zugenommen, 2400 davon sind gemeinnützig. Zudem konnte der Anteil an gemeinnützigen Wohnungen bei 26,4 Prozent aufrechterhalten werden. Dennoch sei es unrealistisch, diesen Anteil in den kommenden Jahren zu erhöhen. Grund sind die allgemein hohe Bautätigkeit und das hohe Preisniveau. Trotzdem hält die Stadt Zürich am Drittelsziel fest und strebt nach eigenen Angaben weiter mit allen Mitteln nach mehr gemeinnützigem Wohnungsbau.

Sich dem menschlichen Massstab anpassen

Ein Förderinstrument der Stadt Zürich ist beispielsweise die Abgabe von Land im Baurecht. Davon macht die ABZ etwa bei den beiden neuen Bauprojekten auf dem Koch- und Hardturm-Areal Gebrauch. «Das Baurecht ist eine gute Möglichkeit, weiteren gemeinnützigen Wohnraum zu schaffen», sagt Kirstein. Denn Boden auf dem freien Markt zu kaufen, ist für die ABZ zurzeit schwierig. Der Boden ist ein beschränktes Gut, das führt zu hohen Preisen. Deshalb hat unsere Genossenschaft nicht immer beim Preiswettbewerb mitgemacht. Sonst wäre sie nicht in der Lage, ihre Wohnungen so günstig anzubieten wie bisher. Zwar könnte die ABZ jetzt Boden kaufen und darauf spekulieren, dass dieser langfristig günstiger wird. Voraussetzung dafür wäre allerdings, dass renditeorientierte Gesellschaften ihrerseits spekulierten und die Mietpreise künftig weiter in die Höhe trieben. «So berücksichtigen wir aber nicht, dass die Nachfrage in Zukunft möglicherweise auch schrumpfen könnte», sagt Kirstein. «Und wir wollen verantwortungsvoll und vorsichtig agieren, deshalb ist diese Spekulation keine Option.»

«Wenn wir verdichtet bauen, ist der Bezug zum Quartier umso wichtiger. So erhalten Menschen ein Zuhause, in dem sie sich wohlfühlen.»

Hans Rupp, ABZ-Geschäftsführer

Aus Sicht von Rupp muss das Drittelsziel der Stadt Zürich erreicht werden. Mehr und mehr Menschen werden in Zürich leben wollen. In 20 Jahren werden gemäss Schätzungen der Stadt Zürich rund 520 000 Menschen hier wohnen – das sind 80 000 mehr als heute. Neuer Wohnraum muss also entstehen. Seit den 90er-Jahren fand das Wachstum hauptsächlich in ehemaligen Industriearealen wie dem Escher-Wyss-Quartier statt. Industriefirmen begannen damals, ihren Boden für Wohnraum umzunutzen. Zurzeit findet das Wachstum von Wohnraum entlang von Verkehrsachsen statt – etwa in der Region Säuliamt. «Das ist aber nicht nachhaltig», sagt Rupp. Der Grund: Die Menschen pendeln dann in der Regel zur Arbeit in die Stadt, das braucht Zeit und Infrastruktur. «Unsere Vision ist die fussläufige Stadt», ergänzt Kirstein. Alles, was im Alltag benötigt wird – auch der Arbeitsplatz –, soll also möglichst zu Fuss oder mit dem Velo erreichbar sein. Das Konzept der Zukunft sei, sich dem menschlichen Massstab anzupassen.

Und weil die Stadt Zürich weiterhin attraktiv, divers und lebenswert sein soll, braucht es auch mehr von Genossenschaften gestaltete Areale. Sie rücken die Menschen ins Zentrum ihres Handelns, bieten günstige Wohnungen für unterschiedliche Lebensentwürfe, achten auf hochwertige Architektur und offene Quartiere, setzen sich für Nachhaltigkeit ein, nehmen Verantwortung wahr und ermöglichen eine Mitwirkung durch die Bevölkerung. «Wenn wir verdichtet bauen, ist der Bezug zum Quartier umso wichtiger. So erhalten Menschen ein Zuhause, in dem sie sich wohlfühlen», sagt Rupp. Für den geplanten Ersatzneubau in der ABZ-Siedlung Herrlig zum Beispiel können die Bewohnenden und das Quartier im Rahmen eines Mitwirkungsprozesses ihre Bedürfnisse für das neue Bauprojekt mitteilen. Ebenso führte die Bauträgerschaft des Projekts Ensemble die erste Mitwirkungsveranstaltung für das Quartier durch, an der die Teilnehmenden ihre Anliegen für die Erdgeschossnutzungen, die Gewerbeflächen und den Aussenraum vorbringen konnten. Auch für die Entwicklung des Koch-Areals finden solche Prozesse statt. Rupp: «Die Genossenschaften sind diesbezüglich einzigartig. Das Ziel soll ein guter Mix an kommerziell und nicht kommerziell orientierten Bauträgern sein. Ein lebenswertes Zürich braucht aber noch mehr von Letzterem.»

Fotografie
Amt für Städtebau (Juliet Haller), Immotrailer (Zug), Reto Schlatter, Volker Schopp

Ingrid Diener

Ist Wandervogel, Tennis-Fan und Teetrinkerin. Hat am liebsten Sommer. Bei der ABZ für die Kommunikation im Einsatz.

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